Zigarette und Smartphone
1.
Rauchen ist ungesünder als das Smartphone, das Smartphone ist hingegen schädlicher.
2.
Herumstehen und nichts tun bedeutet in unserer heutigen Zeit, sich Blöße zu geben. Das ist die neue Nacktheit: leere Hände, leerer Blick. In der Arbeitswelt macht man sich durch ein solches Herumstehen angreifbar; im Alltag hingegen sieht man so aus, als wüsste man nicht, was man mit seiner Freizeit anfangen soll, es sieht nach Keine-Freunde-haben aus. Das Rauchen dagegen bewahrt vor derlei Zumutungen: Der Raucher ist ein kompetenter Nichtstuer. Das heißt: Rauchen ist eigentlich schon so etwas wie Arbeit. Arbeit an sich selbst, an seinem Selbstbild.
Das Selbe gilt für das Smartphone. Das Netz sichert ab, gibt uns den nötigen physiologischen und psychologischen Schutz, holt den aus der Welt Gefallenen wieder auf den Boden der Tatsachen, d.h. Instagram, Facebook, Twitter usw. – Unsere Profilbilder sind die Masken des 21. Jahrhunderts: Doch vor welchen bösen Geistern und Dämonen sollen sie noch schützen, nachdem das helle Licht der Aufklärung sie doch längst vertrieben hat? Vermutlich sind es die inneren Geister, in uns, vor denen wir uns schützen müssen. Das heißt: Wir schützen uns vor unserem eigenen Blick.
3.
Obwohl es das Rauchen schon sehr viel länger gibt als das Smartphone, ist das Smartphone vermutlich schon sehr viel häufiger ein Faktor für Suizid gewesen als das Rauchen.
4.
Inzwischen ist nach dem Sex schon öfter nach dem Handy als nach der Zigarette gegriffen worden. Was das wohl bedeuten mag? Fragen wir einen Sexualtherapeuten.
- Rauchen und Smartphones verursachen Krebs.
6.
Zigaretten und Smartphones können nebeneinander existieren. So kann man in der einen Hand sein Handy halten, in der anderen Hand die Kippe. Dennoch stehen sie beide für etwas ganz anderes, sie indizieren jeweils eine ganz eigene Kultur, Identität und Haltung.
Die Zigarette steht für: Coolness und Leute, die cool sein wollen, es aber nicht sind; Genuss und Entspannung, bzw. Ausatmen-Können, wobei sicher ein Moment des Zwanghaften dazu nicht fehlen darf; Zurückhaltung, wobei sicherlich nicht überall; Risikobereitschaft, Lässigkeit, Kontemplation; analoges In-der-Welt-Sein; Gesprächskultur, lustige Geschichten; politische Eingriffe in die Konsumfreiheit.
Das Smartphone steht hingegen für: Maximale Erreichbarkeit, Anspannung, permanenter Vergleich, Selbstdarstellung und Selbstoptimierung, völliger Exzess der Selbstliebe, Verwahrlosung der Sitten, Distanzlosigkeit und Distanz, Schamlosigkeit, Bilderflut, Wortkargheit, Dummheit, Überinformiertheit, politische Ohnmacht, Zornkultur, Melancholie und Zwang, das Gesetz der höheren Zahl, Follower und Likes, Blasenbildung, Geschwindigkeit, erschöpfende Wiederkehr des Immer-Gleichen usw.
7.
Ist die Zigarette der sechste Finger, so ist das Smartphone das dritte Auge: Manchmal handelt es sich um puren Luxus, manchmal aber geht es ums nackte Überleben.
8.
Aus ästhetischer Sicht ist das Halten einer Zigarette dem Halten eines Smartphones vollkommen – absolut(!) – überlegen. Die Zigarette liegt leicht in der Hand; man kann sie wegschnipsen, wenn man möchte. Etwas Asche hängt noch dran, sie glüht, verglüht, man tritt drauf, dann ist es vorbei: Eine schöne Metapher auf die Vergänglichkeit des Lebens.
Das Handy dagegen ist ein hässliches Rechteck mit einer hässlichen Schutzhülle; es nimmt zumeist eine ganze Hand in Beschlag, nicht selten zwei. Elegant bzw. intelligent sieht es nicht aus, wenn man es in der Hand bzw. in den Händen hält. Der Kopf neigt sich nach unten, fast schon so, als würde man sich bücken. Aus ästhetischer Sicht: eine Unterwerfungsgeste.
Sicher kann man auch das Handy auf den Boden werfen, das ist aber dann kein Wegschnipsen, sondern in aller Regel ein wütendes auf den Boden schmeißen: Da hat jemand wohl seine Fassung verloren und sucht seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Das Handy aus Wut auf den Boden schmeißen? – Ein lächerliches Bild.
9.
Gut möglich, dass diejenigen, die das Smartphone verachten – dazu gehören selbstverständlich auch diejenigen, die es benutzen und gleichzeitig darüber fluchen –, sich nach der Zeit sehnen, in der es nur Zigaretten gab und keine Smartphones. Wird es also zu einer neuen Aufwertung der Zigarette kommen? Als Protesthaltung zum Smartphone und der Optimierungskultur?
10.
Die Zigarette ist ökologischer als das Smartphone.
11.
Sicher handelt es sich sowohl beim Rauchen wie auch beim Smartphone (= das ins Smartphone Schauen und Herumtippen) um Verlegenheitslösungen. Unsicherheiten werden dadurch geschickt umgangen. Aber was ist eigentlich das Problem daran, in Verlegenheit zu geraten?
12.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Welt wegen Smartphones untergeht, ist höher als bei der Zigarette.