Dem Zweifel das Licht ausmachen. Rezension zu DJ Gigolas Fluid Meditations
Klänge von Wassertropfen plätschern aus meinen Lautsprechern, sanfte Trommelschläge federn durch den Raum. Eine leise Stimme haucht mir zu: „Turn off your mind. Turn off your mind.“ – „Relax and let go. Relax and let go.“ – Plötzlich: Stille. Stimmungswechsel. Langsam rollt ein düster klingender Synthesizer los, der die wiedereinsetzenden Tropfgeräusche unterlegt. „Forget the world! Forget the world!“ weist mich die nun nicht mehr ganz so zarte, dafür aber nachdrückliche Stimme an. „Welcome to this continuous stream of fluid meditations“. So empfängt mich DJ Gigola im Intro ihres Anfang Februar erschienenen Debüt- und Konzeptalbums Fluid Meditations . Ein abgeschottetes und ruhiges Plätzchen soll ich mir suchen, das mir die Entspannung gibt, die ich verdiene. „Gently close your eyes.“ Nun gut: ab auf die Couch. Augen zu und durch.
Auf acht Tonspuren reise ich mit Paulina Schulz aka DJ Gigola, die Medizin an der Charité studiert hat und nach eigener Aussage „so ein bisschen die Mama“ des Labels bzw. Kollektivs Life From Earth ist, durch mal entspannende und beruhigende, mal treibende und anregende Klangwelten. Zu den Wasser- und Trommelgeräuschen gesellen sich singende Vögel und quakende Frösche. Field Recordings von Natur-, Instrumental- und Tiersounds, die fast vergessen machen, dass es sich hierbei um elektronische Musik handelt, wechseln sich mit ozeanischen Ambientpassagen ab, Reggaeton-type-of-beats mit Technogebretter und (Psy-)Trancegeknatter. Die Klänge, Rhythmen und Pattern der genrefluiden Gigola sind präzise arrangiert und finden meinen Gefallen. Ganz im Gegenteil zu Form und Inhalt ihrer bisweilen geflüsterten und auf ASMR1 abzielenden spoken words.
Vor allem in Embodiment Practice – dem dritten Stück des Albums – wird sinnfällig, dass Fluid Meditations diktierte Entspannung ist. Gleichförmige Trommelschläge und vokale Samples unterlegen Gigolas weiche Stimme, die mich dazu anleitet, meine Aufmerksamkeit auf verschiedene Stellen meines Körpers zu richten, mithin ‚in sie hineinzuatmen‘: „Breathe into and out of your legs“ zum Beispiel, wobei es Gigolas Geheimnis bleibt, wie genau das funktionieren soll. Sinn und Zweck der Übung ist es jedenfalls, mich auf einen konstanten Rhythmus meines Atems einzustellen, um dadurch ein Eintauchen in die Energie des Lebens zu ermöglichen, die mich vorantreiben und mit allem anderen Leben auf dem Planeten Erde verbinden soll:
„Just by tuning into the steady rhythm of your breath you are immersing yourself in the energy of life. The energy that propels you forward and connects you to all other life on this planet.“
Das klingt einigermaßen esoterisch.
Es ist aber nicht nur die Erinnerung an Esoterik, die mich vor allem in der ersten Hälfte des Albums irritiert, sondern auch die für geführte Meditationen übliche an- und aufgedrehte Nähe und Zufriedenheit. Es sind dies Gefühle und Emotionen, die vorgetäuscht und eingeübt werden müssen – fünf der acht Stücke auf Fluid Meditations sind als practice betitelt –, wo sie real nicht oder nur kaum existieren. Zwar ist alles Leben wirklich miteinander vermittelt und verbunden – nämlich über Produktions-, Austausch- und Konsumtionsverhältnisse –, aber doch fristen die Menschen den Großteil ihrer Lebenszeit immer noch als von sich selbst und einander entfremdete, eiskalte Atome. In der alltäglichen Selbstbehauptung ist deren Beziehung zueinander vor allem durch Konkurrenz gekennzeichnet. Dem kommt die direkte Ansprache von Gigolas Worten entgegen und es stellt sich eine parasoziale Beziehung ein, bei der die Illusion eines medial unvermittelten Face-to-Face Kontakts geschaffen wird. Intimität wird suggeriert, die allenfalls virtuell besteht. Gigola – deren Künstlerinnenname so viel wie ‚Vortänzerin‘ bedeutet – inszeniert sich dabei als Guide, als Führerin, als große Andere, die ihren Hörer:innen als angerufenen Subjekten ihre quasi-mütterliche und bedingungslose Liebe, Hingabe und Fürsorge offeriert. Projektiv und ersatzweise befriedigen sich beim Hören des Albums Bedürfnisse nach Ruhe und Geborgenheit, Erholung und Sicherheit, die im Alltag nur selten gestillt werden.
Obwohl im fünften Tune, Stream State, mit den sinistren Acid Sounds und dem erstmalig kickenden Bass eine begrüßenswerte Spannung zwischen diskursiver und musikalischer Ebene entsteht, wird diese durch die Bedeutung der sich ständig in den Vordergrund drängelnden Vocals direkt wieder einkassiert:
„Join me in my dream. Leaving the body. Entering the stream. I’m floating on the waves. All is quiet and peaceful. I’m not afraid. I feel one with the universe. I’m afloat on its waves. I’m lifted up and leave the world behind. I enter the eternal rhythm with a dance. It is beautiful. Floating in the center of the universe. I float in heaven, float in my dream. One with the rhythm. One with the stream.”
heißt es da, womit Gigola außerkörperliche Erfahrungen beschreibt, wie sie für Trance- und Ekstasezustände typisch sind, die als Höhepunkt und Ziel sowohl von bestimmten Meditationstechniken und -übungen als auch von exzessivem Tanz und dem Konsum verschiedener Drogen gelten. Das Ich, das weder als vereinzeltes noch als vergesellschaftetes bewusst über die ihm äußerlichen Verhältnisse bestimmt, geht dabei für den Moment der Erfahrung in ihnen auf. Es macht sich ihnen gegenüber indifferent und schmiegt sich an sie an.
Mit dem Strömen und Fließen – das, würde es denn als irgendwie bedrohlich oder falsch angenommen, die angepeilte spirituelle Kontemplation des Subjekts stören könnte – wird dann spätestens in Affirmation Practice, dem sechsten, reggaetonartigen Stück auch ganz ungeniert der Frieden geschlossen. Gigola verkündet:
„I find balance between giving and receiving. […]. I am blessed, grateful and abundant. […] I trust the timing of my life. I am at peace with the flow of life.“
Zwar könnte sich – vermutlich eher ungewollt – im „giving and receiving“ unter all den Affirmationen ein versteckter Hinweis aufs gesellschaftliche Tauschverhältnis entdecken lassen, dem aber – es würde den Rahmen sowohl des Albums als auch seiner Besprechung sprengen – hier nicht weiter nachgegangen wird.
Die Dramaturgie von Fluid Meditations peakt im siebten Track – Gratitude Practice –, den Gigola bereits im November letzten Jahres als Single veröffentlichte. Bei galoppierenden 147 BPM und zuerst heiteren, dann melancholischen und knarzigen Synths und Basslines fragt mich Gigola, ob ich für einen Moment von meinen Gedanken ab- und meinen Verstand schweigen lassen kann. Dankbar soll ich sein:
„Ask yourself: How do you feel in this very moment? Can you sense the peaceful energy of life flowing through you? You are the embodiment of this lively energy. Your body is a miracle and a gift. The vehicle through which you have the privilege of experiencing this beautiful world. Ask yourself: How do you feel in this very moment? Sense the feeling of gratitude within you and send it outward to the world around you. Be grateful.”
Anstatt sich ihrer also denkend zu vergewissern und dabei möglicherweise zu befinden, dass es die herrschenden Zustände sind, die zuallererst aufgehoben werden müssten, bevor sich die proklamierten Affirmationen und Utopien für alle realisieren ließen, sollen sich die Hörer:innen ihres ‚Privilegs‘ bewusst werden, diese wunderschöne Welt wahrnehmen zu können und dafür einfach mal dankbar sein. Widersprüche zwischen Idealen und Wirklichkeit? Fehlanzeige. Spaltung oder gar Dialektik zwischen Subjekt und Objekt? Mitnichten. Gigolas Meditationen blenden real existierende Antagonismen ganz und gar aus. Diese werden harmonisiert und falsch versöhnt: Die Welt, vor der in der musikalischen Reise die Flucht ergriffen wird, wird hingenommen wie sie nun einmal ist. Nicht Widerstand soll sich gegen sie regen, sondern die Individuen sollen Gigolas Flüstern lauschend lernen in ihr auszukommen. Sie werden aufgerufen zu üben, damit umzugehen und sich daran anzupassen – Verzeihung – sie sollen den Wandel annehmen und daran wachsen natürlich.
Die beautiful world aber, von der hier die Rede ist, ist die des postmodernen Kapitalismus, in der sich die Subjekte unter konstantem Leistungs- und Konkurrenzdruck befinden. Will man in den Verteilungskämpfen um soziale Anerkennung und materielle Ressourcen bestehen, muss ständig Begeisterung, Enthusiasmus, Motivation und Engagement performt werden. Wer diesen Imperativen nicht folgt, zählt zu den Langweiligen, nicht ganz Mitgekommenen, sozial Inkompetenten, Querulanten oder Nörgler:innen und wird ausgeschlossenen. Der gar nicht mal so ‚stumme Zwang‘ dazu – die Managementliteratur posaunt ihn seit Jahren lauthals aus – der in der Arbeitswelt genauso wie in der sogenannten Freizeit spürbar ist, führt zu andauerndem Stress und, sofern man an ihm scheitert, zu Gefühlen des Ungenügens. Die Diagnosen des ‚erschöpften Selbst‘ – Burnouts und Depressionen – sind die zeitgemäßen Symptome einer Gegenwart, die Aktivität mithin um ihrer selbst willen honoriert – in der das Kapital als blind prozessierender, sich selbst verwertender Wert seine subjektlose Herrschaft unablässig ausdehnt und damit die Krisen, Kriege und Katastrophen unserer Zeit wesentlich mitbedingt.
Zumindest auf die individualisierten Krisen – die sogenannten „neuen Volkskrankheiten“ nämlich – wissen die Staatsapparate zuverlässig zu reagieren. Nicht allein bezahlen Krankenversicherungen psychotherapeutische Behandlungen. Mit Hello Better von der BARMER, dem TK-Depressions-Coach und dem moodgym von der AOK soll Abhilfe geschaffen und ärztliche Behandlung ergänzt – keinesfalls freilich ersetzt – werden. Durch die Online-Trainings und Selbsthilfe-Programme, die sich als ein Potpourri aus Informationsportalen, Tools zur Selbstdiagnostik, angeleiteter Tages- und Nachtplanung, Autosuggestion und Selbsthypnose darstellen, wollen die Krankenkassen individuelle Resilienz bzw. Stressresistenz fördern und depressive Symptome wie Angst- oder Ohnmachtsgefühle sowie die lästige Tendenz der Erkrankten, vermehrt zu grübeln, mindern. Auch daran erinnert Gigolas Debütalbum, das sich als musikalischer quasi-Retreat ideal in die organisierte Gesundheitsfürsorge einreihen dürfte. Deren gesellschaftliche Funktion allerdings besteht vor allem in der Regeneration der Arbeitskraft und damit in der Reproduktion der (Re-)Produktionsbedingungen.
Auf Fluid Meditations erkundet DJ Gigola also nicht allein die Grenzen und Überschneidungen von Meditation und elektronischer Tanzmusik, sondern auch diejenigen des zeitgenössischen Geistes des Kapitalismus, der Kulturindustrie sowie der Biopolitik und bringt diese tatsächlich zum fließen. Indem das Album eine affirmative Vorstellung des imaginären Verhältnisses der Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen vermittelt ist es eine musikalisch-tönerne Rechtfertigung des status quo. Es ist insofern im mehrfachen Sinne letztlich eins: versöhnliche Ideologie unversöhnter Verhältnisse.
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ASMR steht für Autonomous Sensory Meridian Response, zu deutsch: Autonome sensorische Meridianreaktion. Gemeint ist damit ein kribbelndes und als angenehm empfundenes Hautgefühl, das sich vom Hinterkopf abwärts über den Nacken auf die obere Wirbelsäule und die Schulterpartie ausbreitet. Hervorgerufen werden kann es durch das Hören bestimmter Geräusche wie z. B. Händereiben oder Schmatzen, ruhige Stimmen und Bewegungen oder leichte Berührungen. ↩