Computerliebe. Ein Diskussionsprotokoll zum emanzipatorischen Potential von Sex- und Pflegerobotern
Im Sinne einer Formulierung von Adorno in einem Radiogespräch1 möchten wir es im Folgenden „riskieren, ungedeckte Gedanken zu denken“: Spekulative Thesen über die Divergenz bei der moralischen Bewertung von sogenannten Sex- und Pflegerobotern und zur Frage, ob oder inwiefern eine derartige Form von digitalisierter Technik ein emanzipatorisches Potential beinhalten könnte. Dabei verzichten diese Überlegungen bewusst auf eine streng wissenschaftliche Form und bleiben – wohl notwendigerweise – fragmentarisch und assoziativ. Ilse Bindseil stellt in ihrem polemischen Essay mit dem Titel „Es denkt“2 den Dualismus von Körper und Geist in Bezug auf deren Vergesellschaftung infrage und führt dabei aus, wie sich der Körper in die Gesellschaft und die Gesellschaft in den Geist integriert. Mit Blick auf die sozialwissenschaftlich diskutierte Weiterentwicklung zum digitalen Kapitalismus könnte das Digitale als hinzutretendes Element und vermittelnde Instanz verstanden werden: So schreibt sich das Digitale nicht nur in den Geist ein, wodurch ein digitales Selbst entsteht, sondern das Geistige wird auch in das Digitale exportiert. Andererseits erfährt nicht der Körper allein eine Transformation und Digitalisierung als Mensch-Maschine-Interface, sondern auch umgekehrt die digitale Maschine eine Verkörperung: in Form der besagten Sex- und Pflegeroboter. Mit Blick auf die hier skizzierte Entwicklung stellt sich die Frage, ob sich diese als progressiv in Richtung Roboterkommunismus interpretieren lässt – oder als Verdinglichung, bei der die Technik nicht allein fetischisiert, sondern der Fetisch selbst technisiert und zur digitalen Maschine transformiert wird. Der nun folgende Beitrag dokumentiert eine Diskussion, die so oder ähnlich am Equal Care Day3 stattgefunden haben könnte:
Null: Wie bist du denn dazu gekommen, dich mit dem Phänomen der Sexroboter zu beschäftigen?
Eins: Es gibt diese „Campaign against sex robots“4, von der ich mal gelesen habe. Die richtet sich allgemein gegen Sexroboter und auch gegen den Hersteller realbotix5. Der Gründer von realbotix, Matt McMullen, ist total begeistert von seiner Idee, möglichst lebensechte Sexroboter herzustellen. Er sagt, dass dies total emanzipatorisch sei und er vertritt die These, dass wir dadurch alle besseren Sex haben könnten. Und dann gibt es diese britische Professorin, Kathleen Richardson, die die besagte Kampagne gegen Sexroboter ins Leben gerufen hat.
Null: Diese Kampagne scheint ein interessanter Ausgangspunkt für unsere Diskussion zu sein. Und welche Kritikpunkte bringt Richardson da vor?
Eins: Vorrangig, dass Sexroboter nicht gleichgesetzt werden können mit anderen Geräten zur Selbstbefriedigung – wie beispielsweise Vibratoren. Bei deren Anwendung wird nicht die Verknüpfung hervorgerufen, dass man einen Menschen vor sich hat, dem man antun kann, was man will. Diese Verknüpfung hält die Initiatorin der Kampagne für total gefährlich, weil sich Menschen dann ein Sexualverhalten ‚antrainieren‘, das nur auf ihre eigenen Wünsche ausgelegt ist und das menschliche Gegenüber dann keine Rolle mehr spielt. Zusammengefasst könnte man sagen, dass rape culture und die Vorstellung, dass Sex immer verfügbar sein muss, dadurch ganz stark gefördert wird. Und dass alle Praktiken, die eine Person ausüben will, diese auch ausüben kann – jederzeit. Das kritisiert sie vor allem. Robertson vermutet, dass sich das Verhalten gegenüber den Robotern umso stärker auf den Umgang mit Menschen überträgt, je menschlicher diese Roboter gestaltet sind. Dabei frage ich mich, ob solch eine sprechende Puppe bereits als Roboter bezeichnet werden kann oder erst ein Apparat, der mehr aussieht wie eine Maschine.
Null: Schwer zu sagen. In diesem Sinne wäre solch ein Roboter quasi unbelebte Materie oder ein Objekt, an dem man übergriffige Praktiken ausleben kann, ohne eine psychische Beschädigung oder Verletzung am Gegenüber auszulösen, dass sich aber diese Degradierung zum Objekt, an dem ich mich abarbeiten kann, noch verstärkt und unter Umständen verselbständigt.
Eins: Ganz genau. Deutlich wird das an der Überlegung, die manche Psycholog_Innen zum Thema Pädophilie anstellen. Es gibt Sexroboter, die wie Kinder gestaltet sind. In den USA wurde deren Einfuhr und Verkauf schon gesetzlich verboten. Dabei gibt es die Hypothese, dass sich Pädophile in der Umgebung von Kindern besser kontrollieren könnten, wenn sie über einen Sexroboter mit kindlichem Aussehen verfügen. Die Gegenhypothese ist jedoch, dass ihre Hemmschwelle gegenüber Kindern sinkt, wenn sie ihrer Pädophilie ständig mit dem Roboter nachgeben.
Null: Stimmt, anhand dessen wird eine Zuspitzung deutlich zu der Frage, ob solche Praktiken als eine Art Ventil wirken oder darüber hinaus eine Verdinglichung von menschlichen Sexualpartner_Innen befördern.
Eins: Das sehe ich genauso.
Null: Während also Hersteller wie realbotix darauf abzielen, möglichst realitätsgetreue Sexroboter herzustellen, scheint es auch ein Segment zu geben, bei dem es um technische Apparaturen geht, die tatsächlich mehr wie Cyborgs oder Roboter gestaltet sind, und es dabei ein Genre zu geben scheint, das sich mit dem Begriff des „roboter porn“ umschreiben lässt und entsprechende Videos dann auch mit Titeln wie „raped by a robot“ online gestellt werden. Man könnte dies vielleicht als eine mediale Umsetzung von Vergewaltigungsphantasien interpretieren, bei deren Betrachtung man sich als Konsument darauf zurückziehen könnte, es sei nur ein Roboter, der hier als ‚Täter‘ auftritt. Andererseits lässt sich meiner Einschätzung nach nicht eindeutig sagen, ob solche Sexualpraktiken nicht auch von bestimmten Frauen als befriedigend oder aufregend erlebt werden als das Ausleben einer exotisierten oder fetischisierten Form von Sexualpraktiken.
Eins: Das kann sein, nur ist diese Industrie meinem Eindruck nach an einem sehr stereotypen männlichen Bedürfnis ausgerichtet und wenig daran orientiert, was für Frauen interessant und schön sein könnte. Es gibt aber schon auch ‚männliche‘ Sexroboter, die aber wohl einen deutlich kleineren Teil des Umsatzes ausmachen.
Null: Möglicherweise ergibt sich ja auch der Reiz an diesen maschinenhaften Apparaturen daraus, dass diese mitunter autonom erscheinen und sich der Lustgewinn möglicherweise daraus ergibt, diesen Apparaten ausgeliefert zu sein.
Eins: Das wäre denkbar. Wenn man jedoch den Werbeversprechen Glauben schenken mag, dass bei der Verwendung von Sexrobotern so etwas wie Nähe und Intimität hergestellt werden kann, die über reine sexuelle Befriedigung hinaus geht, könnte dies auch hilfreich für Menschen sein, denen es schwerfällt, Kontakte zu anderen Personen aufzubauen. In diesen Fällen könnte ein Sexroboter erstmalig eine sexuelle Erfahrung ermöglichen.
Null: Ja, vielleicht im Sinne einer technischen Sexualassistenz. Beim Thema Intimität und Nähe könnten wir nun vielleicht eine thematische Überleitung zu der Diskussion um den Einsatz von Pflegeroboter herstellen, oder wie siehst du das?
Eins: Ja, daran können wir gut anknüpfen. Gegen Pflegeroboter wird argumentiert, dass jegliche zwischenmenschliche Interaktion durch den Robotereinsatz verloren ginge und die zu Pflegenden darunter leiden würden, dass sie noch weniger zwischenmenschliche Kontakte haben, wenn Pflegetätigkeiten durch Roboter erledigt würden; aber wenn diese Roboter dann tatsächlich so gut ausgestattet sind, dass sie sich auch mit den zu pflegenden Menschen ‚unterhalten‘ und Nähe hergestellt werden könnte, wäre** diese** Argumentation ja ausgehebelt. Und in den seltenen Fällen, in denen Roboter bisher in der Pflege zum Einsatz kommen, unterstützen sie das Pflegepersonal. Sie ersetzen die Arbeit der Pflegekräfte nicht, sondern erleichtern deren Arbeit.
« Nun spricht man auch davon, dass […] **in der Sozialen Arbeit und Psychotherapie […] viele Vorgänge und Vorgehensweisen sehr stark standardisiert und manualisiert worden sind. Daraus könnte sich die Überlegung ergeben, ob man solche pädagogischen und therapeutischen Interaktionen nicht auch digitalisieren könnte. »
Null: Eine solche Entwicklung lässt sich meiner Recherche nach beispielsweise bereits in Japan beobachten: Dort gibt es roboterartige Assistenten, die bei älteren Menschen zur Bewältigung von Alltagsaufgaben im Haushalt eingesetzt werden. Ich würde vermuten, dass der Einsatz von roboterartigen Hilfsmitteln bei älteren Generationen tendenziell auf Ablehnung stoßen würde, während in einer Generation, die selbstverständlich mit digitalen Unterstützungssystemen aufwächst, eine breitere Akzeptanz denkbar wäre. Wobei auch abzuwarten bleibt, ob diese Systeme dann mehr die Form von smarten, digitalen Geräten oder mehr von humanoiden Robotern annehmen würden, die menschlichen Pflegekräften nachgebildet sind.
Eins: Ich würde auch davon ausgehen, dass die Akzeptanz steigen wird, insbesondere bei einer Generation, für die ein Leben ohne digitale Geräte kaum mehr vorstellbar ist. Bei der Vorstellung, dass ein Pflegeroboter Aufgaben in einem Seniorenheim übernehmen könnte, wäre es spannend zu wissen, ob dieser dann als ein Ersatz für oder eine Ergänzung zum Pflegepersonal zu verstehen wäre. Könnte ein Pflegeroboter Aufgaben übernehmen, für die das Pflegepersonal im Stationsalltag meist keine Zeit erübrigen kann? Wäre er für persönliche Gespräche mit den Bewohner_Innen da?
Null: Das wäre dann also eine Art Siri oder Alexa mit psychotherapeutischer oder sozialarbeiterischer Funktion. Wobei sich vielleicht auch umgekehrt die Frage für eine kritische Sozialarbeit, Psychologie oder Pflegewissenschaft stellt, ob sie diesen subjektiven, zwischenmenschlichen Faktor verteidigen müsste und nur gewisse Handgriffe wie das Umlagern an technische Assistenten delegiert werden sollten.
Eins: Ja, oder das Anreichen von Dingen und Nachfüllen von Getränken.
Null: Also gibt es bereits konkret die Überlegung, Pflegekräfte durch Roboter zu ersetzen?
Eins: Ich denke, das steht derzeit nicht zur Diskussion, da es bisher keine Roboter gibt, die selbstständig alle pflegerischen Aufgaben übernehmen könnten. Wenn es diese irgendwann einmal geben sollte, käme es wohl darauf an, wie gut sie menschliches Verhalten imitieren könnten. Derzeit erscheint mir der zwischenmenschliche Kontakt jedoch unerlässlich.
Null: Wenn wir darüber nachdenken, ob solche Assistenten bereits jetzt Akzeptanz finden würden, wären ja auch die Fragen von Bedeutung, inwiefern beim digitalen Selbst die Selbstdarstellung in den sogenannten sozialen Medien zum Teilaspekt der eigenen Identität wird, geistige Zustände als Daten exportiert werden und meine Herzfrequenz per Gadget direkt an meine Krankenkasse übermittelt wird – oder wie therapeutische Apps zur psychischen Stabilisierung beitragen, so dass digitale Apparate gar nicht mehr so sehr als Fremdkörper oder als äußere Objekte, sondern schon mehr als internalisierte Teile der eigenen Existenz wahrgenommen und erlebt werden.
Eins: Das stimmt, diese Entwicklung könnte dazu beitragen, dass der Einsatz von Pflege- oder Therapierobotern zukünftig eine breitere Akzeptanz finden wird.
Null: Was wir nun anhand von den genannten Beispielen hier diskutiert haben, ist der Punkt, dass die Kompetenz einer digitalisierten Maschine das allgemein-menschliche Potential in verschiedenen Bereichen möglicherweise übersteigt und sich nicht auf den Input beschränkt, den Menschen einspeisen. Sondern sie könnte dann auch autonom irgendwelche Aufgaben lösen, wenn sie zumindest in technischen Bereichen dem menschlichen Geist überlegen zu sein scheint und dann nicht nur als Rechenhilfe genutzt wird.
Ein anderer Gedanke wäre, dass man ja interessanterweise auch in der Sozialen Arbeit und Psychotherapie von Gesprächstechniken spricht und bei den entsprechenden Methoden viele Vorgänge und Vorgehensweisen sehr stark standardisiert und manualisiert worden sind. Daraus könnte sich die Überlegung ergeben, ob man solche pädagogischen und therapeutischen Interaktionen nicht auch digitalisieren könnte. Also wie zum Beispiel beim aktiven Zuhören oder der motivierenden Gesprächsführung, bei der es darum geht, das Gesagte meines Gegenübers in anderen Worten zusammenzufassen oder aus dem Gesagten eine provokante Frage zu entwickeln, die in eine andere Richtung führt, was mutmaßlich bereits jetzt durch digitale, ‚intelligente‘ Sprachsysteme geleistet werden und dann vielleicht auch eine Psychotherapeut_In ersetzen könnte.
Eins: Ja, zumindest das Erstgespräch könnte vielleicht ersetzt werden. Auch in der systemischen Beratung ist das Spektrum an Fragen relativ begrenzt. Da würde es vielleicht eine Zeit lang gar nicht auffallen, wenn ein Therapieroboter die Fragen stellt, wenn er also gar nicht darauf eingeht, was sein Gegenüber sagt.
Null: In der telefonischen Beratung wird dies meines Wissens bereits realisiert, in dem beispielsweise im Callcenter digitale Sprachsysteme in den Dialog mit den Kund_Innen treten, ohne dass sich diese Interaktion merklich unterscheidet von der mit menschlichen Callcenter-Mitarbeiter_Innen.
Eins: Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich habe mir eben ein Seniorenheim vorgestellt, in dem bestimmte Aufgaben von Robotern ausgeführt werden. Wir haben ja bereits darüber gesprochen, ob diese dann wohl eher die körperlich anstrengenden Pflegetätigkeiten oder die emotionale Arbeit übernehmen würden. Und in beiden Fällen glaube ich, dass in privatwirtschaftlich organisierten Pflegeeinrichtungen, die gewinnorientiert arbeiten, kein Geld für die jeweilige Ergänzung ausgegeben werden würde. Wenn ein Roboter alle pflegerisch notwendigen Tätigkeiten ausführen kann und die Menschen ‚nur noch‘ zum Reden da sind – wieso sollte man dann die Menschen dann weiter beschäftigen? Umgekehrt: Wenn Roboter nur eine Ergänzung wären, weil Menschen weiterhin die zentralen Aufgaben ausführen – wieso sollte dann jemand Geld für die Roboter ausgeben?
Null: Die Frage wäre dann: Was ist billiger? So ein Roboter wäre wohl schon sehr teuer in Bezug auf die Anschaffungskosten, die sich dann aber schnell amortisieren, während für die Pflegekraft monatlich neu das Gehalt und die Sozialabgaben bezahlt werden müssten.
Eins: Die dann auch mal krank wird oder ausfällt. Gut, ein Roboter muss vielleicht mal in die Wartung.
Null: Aber zumindest nicht in Elternzeit. Während also dieser Diskurs, ob sich Rationalisierung und Kostenreduktion durch den Einsatz von analogen und digitalisierten Maschinen vollzieht, in der technischen Produktion meinem Eindruck nach schon längst entschieden ist, könnte sich diese Frage auch bei der Übernahme von sozialen Dienstleistungen durch Roboter stellen.
Eins: Das stimmt, in der Industrie lässt sich diese Entwicklung schon länger beobachten: Diese Maschinen begehen weniger Fehler und kommen nicht auf die Idee, zu streiken und Lohnerhöhungen zu fordern.
Null: Das wäre dann spannend, ob man solch eine Logik dann auch auf Pflegeroboter anwenden würde, wenn es für die Betreiber von Pflegediensten um Kosten geht, aber auch um die Erfüllung von quantitativen Qualitätsrichtlinien: So soll das Essen punktgenau bereitgestellt oder der zu pflegende Mensch innerhalb von drei Minuten gewaschen werden. Dadurch ist der Pflegealltag bereits jetzt schon so straff getaktet, dass sich die Pflegekräfte im Prinzip schon sehr maschinen- oder roboterhaft verhalten müssen. Da könnte dann im Zuge der Rationalisierung der Gedanke aufkommen, den subjektiven Faktor bewusst auszuschalten, weil er ganz einfach zu teuer wird. Und ob so ein Roboter dann im Idealfall genauso empathisch auftritt wie eine menschliche Pflegekraft, wäre dann wohl erst einmal zweitrangig. Daraus ergibt sich für mich die Überlegung, ob aufgrund der Entfremdung, die sowohl die Pflegekräfte als auch die zu Pflegenden durch stupides Abarbeiten von vorgeschriebenen Abläufen erleben – durch maschinenhaftes, roboterhaftes Verhalten – dann vielleicht gar kein großer Unterschied mehr besteht, ob es nun Roboter sind, die mir begegnen, oder doch noch leibhaftige Menschen. Auf der anderen Seite könnte das Erleben von entfremdeter Sexualität ähnlich automatisiert oder maschinenhaft ablaufen. So könnte solch ein Entfremdungserlebnis auch leichter für Akzeptanz sorgen: Wenn ich mein menschliches Gegenüber ohnehin nicht mehr als Subjekt betrachte, könnte es auch deutlich leichter durch ein technisches Objekt ersetzt werden. Damit wären wir an dem Punkt, den die Kritische Theorie als Verdinglichung bezeichnen würde: Roboter und Mensch werden gleichermaßen zum subjektlosen Ding, der subjektive, spezifisch menschliche Faktor steht damit als Unterscheidungsmerkmal auf dem Spiel.
Eins: Das ist eine weitere interessante Überlegung. Ein anderes Thema wäre ja so etwas wie Roboterrechte, also hätten die Pflegeroboter dann beispielsweise ein Recht auf eine Höchststundenzeit pro Tag oder Woche und einen Anspruch auf ‚Freizeit‘? Oder bei den Sexrobotern – oder müsste man Sexroboterin sagen? Wir nutzen die ganze Zeit die männliche Form, dabei geht es überwiegend um Maschinen, die weiblichen Körpern nachempfunden sind. Ich spreche jetzt mal von einer Roboterin. Kann eine Sexroboterin vergewaltigt werden? Schließlich ist ‚sie‘ ein Gegenstand ohne Bewusstsein. Dazu fällt mir ein: es gibt ein neues Update bei den Robotern von realbotix: ein Anti-Missbrauchs-Update. Dabei werden alle beweglichen Körperteile abgeschaltet, wenn sie ‚zu fest‘ angefasst werden.
Null: Das klingt sehr befremdlich – insbesondere wenn ich darüber nachdenke, ob man dann noch die zentralen Funktionen nutzen kann und nur die interaktiven Elemente abgeschaltet werden oder ob der Roboter dann quasi wie verriegelt ist. Und es ist ja schon auch aufschlussreich, dass eine solche Anti-Missbrauchsfunktion überhaupt existiert und beim Hersteller bereits mögliche Vergewaltigungsphantasien der Kund_Innen mitgedacht werden.
Eins: Das sehe ich ähnlich. Andererseits impliziert dies eine sehr normative Vorstellung davon, wie Sex ablaufen sollte oder welche sexuellen Praktiken akzeptabel sind. Wenn die Roboterin ‚fest angefasst‘ wird, soll es als Übergriff interpretiert werden, während Menschen selbstständig und konsensuell entscheiden könnten, ob sie beispielsweise BDSM-Praktiken zulassen und ausüben wollen oder nicht.
« Wenn man(n) beim Sex nicht mehr auf ein menschliches Gegenüber trifft, das eigene Wünsche äußern und „Nein“ sagen kann, werden die Bedürfnisse der anderen Beteiligten bedeutungslos. Außerdem sind die äußerlichen Merkmale von Robotern standardisiert und idealisiert. »
Null: Solche ethischen Überlegungen werden ja auch bei der Konstruktion von autonomen Fahrzeugen diskutiert: also die Frage, ob man quasi eine moralische Instanz mit einprogrammieren sollte oder was passiert, wenn dann eben so ein autonomes Fahrzeug jemanden tödlich verletzt. Wer ist dann haftbar und wird so einem Fahrzeug dann eine utilitaristische Ethik eingeschrieben, um beispielsweise ‚nur‘ einen Menschen zu überfahren statt eine Gruppe von zehn Personen? Und so könnte es auch beim Einsatz von Sexrobotern zu erotischen Unfällen kommen, bei denen dann solche Haftungsfragen diskutiert werden müssten, wenn der „unsachgemäße Gebrauch“ zu Verletzungen an den menschlichen Geschlechtsorganen führt.
Und auf unser Thema bezogen müsste man ja auch überlegen, wer die Haftung übernimmt, wenn durch solch einen Pflegeroboter ein Unfall oder ein Todesfall verursacht wird, im Zweifelsfall dann vielleicht der Hersteller.
Eins: Ja, oder dann der Träger, der die Einrichtung betreibt, in der dieser Assistent eingesetzt wird. Angenommen, der Roboter stößt beim Umlagern eine Person aus dem Bett und diese verletzt sich dabei. Da könnte man diskutieren, ob der Hersteller nicht ausreichend Feingefühl einprogrammiert hat. Andererseits hat sich ja der Betreiber der Einrichtung dafür entschieden, diese Roboter einzusetzen und ist dann für deren Funktionsfähigkeit zuständig.
Null: Um nun zum Abschluss zu kommen, könnten wir festhalten, dass man sich bei solchen Diskussionen schnell auf einem verminten Feld bewegt und wir dabei vielleicht von einer Dialektik des Fortschritts sprechen müssten, die sich nicht einseitig auflösen lässt. Da wäre vielleicht abschließend die Frage interessant, ob die beiden hier diskutierten Phänomene aus einer feministischen Perspektive ein emanzipatorisches Potential beinhalten und Menschen von Care-Arbeit entlastet werden könnten und sich die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit reduziert, wenn diese Tätigkeiten an Maschinen delegiert werden. Oder ob auf der anderen Seite Sexarbeiter_Innen entlastet werden könnten, wenn deren Kundschaft Sexroboter konsultiert.
Eins: Ich glaube, das Potential ist schon da, allerdings nicht zu diesem Zeitpunkt und nicht in diesem System, oder? Die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zu reduzieren hätte wenig Effekt, wenn die verbleibende, notwendige Arbeit dann nicht neu verteilt wird. Dann gäbe es einfach nur mehr arbeitslose Menschen. Zwar würde dies zeitliche Ressourcen freisetzen, aber solange Lohnarbeit ein derart zentraler Punkt für gesellschaftliche Integration und Teilhabe ist, wäre damit wenig gewonnen. Wenn eine Pflegekraft durch digitale Maschinen von körperlich belastender Arbeit entlastet wird, wäre dies positiv zu werten. Wenn aber dadurch das Personal reduziert wird, haben sich die Arbeitsbedingungen trotzdem nicht verbessert. Deshalb ist es schwierig, diese Frage allgemeingültig zu beantworten.
Null: Ja, solange in der kapitalistischen Logik digitale Maschinen nur zur Rationalisierung und zur Einsparung von menschlicher Arbeitskraft eingesetzt werden und auf der Gegenseite die Gefahr besteht, dass dann eben dieser subjektiv-menschliche Faktor fehlt, wäre mein Impuls, dass man in der professionellen Care-Arbeit, in der Sozialarbeit oder Psychotherapie dann doch noch den ‚menschlichen‘ Faktor verteidigen müsste und diese Entfremdung nicht aufgehoben werden könnte, wenn man Menschen durch Maschinen ersetzt, solange diese entfremdeten Verhältnisse fortbestehen.
Eins: Da stimme ich dir zu. Ein weiterer Punkt, der dagegen spricht, dass Sexroboter ein emanzipatorisches Potential haben, bringt uns wieder an den Anfang unseres Gesprächs: Wenn man(n) beim Sex nicht mehr auf ein menschliches Gegenüber trifft, das eigene Wünsche äußern und „Nein“ sagen kann, werden die Bedürfnisse der anderen Beteiligten bedeutungslos. Außerdem sind die äußerlichen Merkmale von Robotern standardisiert und idealisiert. Dadurch würden Roboter das Bild vermitteln, dass Frauen genau diesen Idealvorstellungen entsprechen und sexuelle Kontakte immer genau so ablaufen, wie man(n) sie haben will, was dann wieder ein Bild von Weiblichkeit und Sexualität vermittelt, das aus einer feministisch-emanzipatorischen Perspektive alles andere als wünschenswert ist. Dieses Bild wird zwar durch Pornographie schon lange vermittelt. Es hebt diese Vorstellungen aber noch mal auf eine neue Stufe, wenn sie auch beim realen Sex – mit und ohne Roboter - bedient werden.
Null: Ja, dass solche Sexroboter wohl auch mehr männlichen Idealvorstellungen entsprechen, wie diese auch in der Mainstream-Pornographie zu finden sind und dann selbst bei Sexrobotern eine Zurichtung der Körper nach sexistischen, patriarchalen Vorstellungen stattfindet.
Eins: Also ich glaube, bei beiden Phänomenen – Pflegerobotern und Sexrobotern – gäbe es schon ein feministisches, emanzipatorisches Potential, aber nur unter bestimmten Umständen, deren Eintreten ich für tendenziell unwahrscheinlich halte.
Null: Welche Umstände müssten das sein?
Eins: Also im Bereich der Pflegeroboter sollte die Arbeit des Pflegepersonals erleichtert und nicht komplett übernommen werden und nur solche Tätigkeiten an Roboter delegiert werden, die sowohl für die Mitarbeiter_Innen und die zu pflegende Person zumutbar sind. Und bei den Sexrobotern könnte es darum gehen, deren Aussehen nicht strikt an sexistischen Normen zu orientieren, sondern es auch Sexroboter geben könnte, die einfach nicht so binär gestaltet sind, die eben nicht nur typisch weiblichen und auch männlichen Idealen entsprechen. Und es könnte vielleicht auch Roboterkörper mit Behinderungen geben, so dass diese auch als potentiell attraktiv verstanden und erlebt werden können.
Null: Danke für diese treffende Zusammenfassung. Für eine Fortsetzung oder Erweiterung dieser Diskussion könnte es vielleicht hilfreich sein, Sex- und Pflegeroboter als Cyborgs zu begreifen und dabei auf die Überlegungen aus Donna Haraway‘s „Cyborg Manifesto“ zurückzugreifen. Vorerst enden wir allerdings an dem Punkt, dass Roboter unter kapitalistischen Verhältnissen doch wieder nur Rationalisierungslogiken und Verdinglichung reproduzieren, also vielleicht nur in einer anders eingerichteten Gesellschaft ihr emanzipatorisches Potential entfalten könnten.
Eins: Also dann doch erst die Revolution und dann die Robotik.
Null: Für die Befreiung von Mensch und Maschine!
Eins: Das ist ein schönes Bild.
Fußnoten
-
Adorno, Theodor (1971) Erziehung zur Mündigkeit: Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959 bis 1969 Berlin: Suhrkamp. ↩
-
Bindseil, Ilse (1995). Es denkt. Für eine esellschaftliche Definition des Geistes und einen Verzicht auf die Definition des Körpers. Freiburg: ça-ira. ↩
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https://equalcareday.de/, zuletzt abgerufen am 29.02.2020 ↩
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https://campaignagainstsexrobots.org/, zuletzt abgerufen am 29.02.2020 ↩
-
https://realbotix.com/Company, zuletzt abgerufen am 29.02.2020 ↩